Konflikte ausverhandeln: Forumtheater*

2020

Wie wohnen wir morgen?

Theater

How will we live tomorrow?

Weitere Formate

14.09.2020 | 17:00 - 19:00 Uhr
WEST (ehem. Sophienspital), Stollgasse 17/ Ecke Neubaugürtel, 1070 Wien

Für Gemeinschaften sorgen

So ein Theater! Leben macht Lärm, zum Erholen braucht es Ruhe. Zusammenleben und Gemeinschaft will gelernt und gelebt sein. Gemeinschaftsräume sind dabei oft Konfliktfeld zwischen Bürokratie und gemeinschaftlichem Handeln. Wir möchten zum Träumen und Neu-Denken, als auch zu mehr Kreativität, Selbstorganisation und Kommunikation anregen - ALLE - Bewohner*innen, Hausverwalter*innen, Bauträger*innen und Planer*innen!

Das Forumtheater ist Teil des Projektes ‚Caring for Communities‘ von Action Archive + Beatrice Stude und wurde für die Ausstellung Critical Care: Architecture and Urbanism for a Broken Planet (2019-2020) entwickelt. Es basiert auf der Feldstudie 'Für Gemeinschaften sorgen', von der Buchexemplare nach der Aufführung kostenfrei verteilt werden.
 

Die Nachbarin ist zu laut und raubt euch den Schlaf. Morgens stolpert ihr über die Spielsachen der Kinder im Korridor. Die Hausverwaltung frustriert euch, weil sie wegen einer Beschwerde Dinge einfach bestimmt und damit gefühlt alle anderen bestraft. Die Stimmung ist schnell aufgeheizt. Was passiert, wenn diese Alltagsszenen nachgespielt werden? Szenen aus dem Haus und Szenen aus dem Büro der Hausverwaltung: Es entsteht ein Perspektivenwechsel der anregt.

Wir möchten zum Träumen und Neu-Denken, als auch zu mehr Kreativität, mehr Selbstorganisation und mehr Kommunikation miteinander anregen – ALLE – Bewohner*innen, Hausverwalter*innen, Bauträger*innen und Planer*innen!

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Das Forumtheater ist eine Methode, bei der das Publikum eingeladen ist aktiv mitzugestalten. Es macht einen Unterschied über einen Vorfall nur zu diskutieren oder den Vorfall gespielt zu sehen oder gar in eine der Rollen auf der Bühne einzusteigen. Wer aus dem Publikum Ideen für Interventionen ausprobiert, spürt schnell am eigenen Leib, dass kleine Veränderungen bereits große Wirkung haben können und lässt das Publikum daran teilhaben. Ein Forumtheaterstück wird immer zweimal hintereinander aufgeführt. Das erste Mal als konventionelles Theaterstück zum Zuschauen. Das zweite Mal mit der Möglichkeit für Interventionen.

Mieter*innen besitzen ihre Wohnung, sie leben im Haus. Doch das Haus ist im Eigentum der Bauträger*innen, eines Fonds oder einer Gesellschaft, die mit den Mieteinnahmen ihre Rendite erwirtschaftet. Doch wer macht die Regeln, wer trifft die Entscheidungen? Oftmals keine*r von beiden – sondern die Hausverwaltung. Denn Treffen oder anderer Austausch zwischen Wohnungsbesitzer*innen und Eigentümer*innen ist nicht vorgesehen. So gewinnt oft der kleinste gemeinsame Nenner, da die Hauswalter*innen viele Häuser zu betreuen haben und oft keine Zeit für Dialog und das Finden von Lösungen mit den Menschen, die im Haus leben, bleibt. Wissen denn die Menschen vor Ort nicht am besten was nötig und möglich ist?

Gemeinschaft entsteht nicht einfach, weil Menschen in ein Haus ziehen. Jede*r hat die eigene Wohnung. Begegnungen finden im Flur oder Aufzug statt und sind zumeist kurz. Ohne Anlass lernen wir einander kaum kennen. Gemeinschaftsräume bieten Raum etwas gemeinsam zu tun: Yoga machen, Feste feiern oder Filmabende veranstalten und vieles mehr. Gemeinschaftsräume sind ein Angebot, dass oft genutzt wird, wenn die Räume einladend gestaltet, flexibel nutzbar und leicht zugänglich sind. Gemeinschaftsräume können auch als Ort dienen, um gemeinsam das Zusammenleben im Haus auszuverhandeln und zu gestalten.

Gemeinschaften sind das Rückgrat in der Gesellschaft. Sie ermächtigen und schützen ihre Mitglieder, und machen sie widerstandsfähig in Krisenzeiten. Aber Gemeinschaft ist auch Arbeit. Arbeit die sich lohnt, wie viele finden, denn die meisten Mieter*innen wünschen sich attraktive Gemeinschaftsräume in ihren Häusern.


Demokratie braucht Gemeinschaft und Gemeinschaft braucht Raum

Gemeinschaftsräume sind oft Konfliktfeld zwischen Bürokratie und gemeinschaftlichem Handeln. Sie bieten eine Infrastruktur um Demokratie auf der Mikroebene zu erlernen und zu praktizieren, finden wir. Das Forumtheater basiert auf dem Buch 'Für Gemeinschaften sorgen', für das viele Gespräche mit Bewohner*innen im Nordbahnhofviertel geführt wurden, und steht hier beispielhaft für den geförderten Wohnbau Wiens. Der Vergleich mit dem Verschwinden des non-profit Wohnungssystem des ehemals starken Wohlfahrtsstaates in Schweden könnte ein düsterer Blick in die Zukunft sein, der dazu anhalten soll, den hohen sozialen Standard der Häuser in Wien gegen neoliberale Einflüsse zu verteidigen.

In Schweden gibt es seit den 90er Jahren keinen geförderten Wohnbau und damit keine Gemeinschaftsräume mehr. Dieser wurde sowohl von sozialdemokratischen als auch von konservativen Regierungskoalitionen vernachlässigt. Noch in den 70ern galt Wohnen hier als Recht und nicht als Ware, als Teil von „Lebenszonen“, die aus dem Kapitalfluss herausgelöst betrachtet wurden. Alle sollten Zugang zu einer leistbaren Mietwohnung erhalten. Heute ist die Wohnungssuche in Schweden eine der größten Herausforderungen – in den größeren Städten als auch auf dem Land. Nur mehr ein Viertel der Wohnungen sind Mietwohnungen. Die gängigste Wohnform ist das „Bostadsrätt“ wobei sich Wohnungssuchende in Kooperativen, in Konkurrenz zum Meistbietenden, einkaufen können.

Wien hat die Tradition des Roten Wiens bis heute überführt in das System des geförderten Wohnbaus. Circa eine halbe Millionen Menschen wohnt in Wien in Gemeindewohnungen. Die Anzahl der geförderten Wohnungen ist flexibel. So gibt es geförderte Eigentumswohnungen und auch geförderte Mietwohnungen mit Kaufoption, die nach Auslaufen des Förderdarlehen nur mehr den gleichen Regeln wie denen des freifinanzierten Wohnungsmarktes unterliegen. Die politische Forcierung dieser Kaufoption, als auch der Verkauf gemeinnütziger Wohnungen im großen Stil – wie die Privatisierung von 60.000 Bundeswohnungen der Buwog 2004 – zeigen in die Richtung wie sie Schweden gegangen ist.


Zum Hintergrund – Theaterstück und Buch ‚Für Gemeinschaften sorgen‘

Im Sommer 2017 folgte die Gruppe Action Archive aus Stockholm einer Einladung von Angelika Fitz und Elke Krasny an ihrem Projekt Care+Repair – öffentlicher Arbeitsraum in der Nordbahnhalle teilzunehmen. Ein Projekt, das im Rahmen der Wien Biennale stattfand und durch das Architekturzentrum Wien (Az W) organisiert wurde. Auf diesem Wege begann die Gruppe Action Archive aus Stockholm eine Zusammenarbeit mit der in Wien lebenden Stadtplanerin und Aktivistin Beatrice Stude. Die Zusammenarbeit knüpfte an das gemeinsame Interesse für Gemeinschaftsräume und Commons an. Die vorliegende Publikation sammelt die im Sommer 2017 zusammengetragenen Notizen der ethnographischen Feldstudien der Gemeinschaftsräume des Neubaugebiets Nordbahnviertel in Wien und diente als Grundlage für das Forumtheaterstück, das sich mit Gemeinschaftsräumen als Konfliktfeld zwischen Bürokratie und gemeinschaftlichen Handelns auseinandersetzt und im Rahmen der Ausstellung Critical Care: Architecture and Urbanism for a Broken Planet (Az W, 2019) entwickelt und zur Aufführung gebracht wurde.

Das Buch ‚Caring for Communities – Für Gemeinschaften sorgen‘ steht hier zum kostenlosen Download für alle zur Verfügung. Darin enthalten ist auch die Nachlese zur 11. Nordbahnhofvorlesung ‚Gemeinschaftsräume – Was frustriert, was funktioniert?‘.

Das Forumtheaterstück ‚Caring for Communities - Für Gemeinschaften sorgen‘ wurde im Rahmen des Projektes von Action Archive + Beatrice Stude von TdU Wien – Theater der Unterdrückten, unter der Leitung von Magoa Hanke und Veronika Vitovic, auf Basis der Studie konzipiert und von Schauspieler*innen als Premiere im September 2019 aufgeführt.


Dieses Forumtheater führt das Projekt 'Für Gemeinschaften sorgen!' fort und wird veranstaltet von:

  • Verein Spiel_Raum - Raum für Bewegung, Theater & Anti-Diskriminierung (www.spiel-raum.eu)
  • mit Magoa Hanke - queer-feministische*r Künstler*in, Theaterpädagog*in und Gender- Forscher*in
  • mit Beatrice Stude - selbständige Stadtplanerin und Aktivistin, Mit-Herausgeberin Buch ‘Für Gemeinschaften sorgen'
  • und Veronika Vitovec - partizipative Theatermacherin und Theaterpädagogin

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"Für Gemeinschaft sorgen" - Forumtheater - Konflikte Ausverhandeln