IBA weiter gefasst

von Rudolf Scheuvens

Bei einer IBA handelt es sich um ein besonderes Instrument der Stadtentwicklung. Angelegt auf einen begrenzten Zeitraum, versteht sich eine IBA als Experimentierraum, als Labor der Stadtentwicklung. Sie benötigt dazu die politische und administrative Rückendeckung für einen „Ausnahmezustand“, bei dem auf Zeit die alltäglichen Rahmensetzungen, Handlungsmuster und Kräfteverhältnisse für ein begrenztes Territorium aufgehoben werden. In diesem Sinne versteht sich die IBA als Laboratorium auf Zeit, als Experimentierfläche im Raum wie im Geist, welche zur Hilfestellung und Verpflichtung für erforderliche Frei- und Experimentierräume und für innovative Lösungen im Aufbau nachhaltiger Strukturen werden kann. Was bedeutet dies für die Wiener IBA, die es sich zum Ziel gemacht hat, einen international wirksamen Beitrag zu einem Neuen sozialen Wohnen zu leisten? Einige Annäherungen und Ausblicke.

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Chancen und Risiken der IBA_Wien.

Die IBA_Wien ist eine besondere IBA. Sie ist weniger aus der Not heraus geboren, als dass sie auf die besonderen Stärken und Qualitäten sowie auf die Routinen des geförderten Wohnbaus in Wien setzt. Dies ist Chance und Risiko zugleich. Chance, weil die IBA die spezifischen Bedingungen in Wien nutzt, um auf einer europäischen Ebene zu demonstrieren, was eine staatliche bzw. eine kommunale Verantwortung für den Wohnbau in einer wachsenden Stadt bewegen kann. Hierzu setzt die IBA auf etablierte Prozesse und auf das ausgefeilte Förderinstrumentarium in Wien, das über die Arbeit an konkreten Projekten konsequent weiterentwickelt wird. Risiko, weil bei einem solchen Ansatz die Gefahr immanent ist, dass die IBA auf die Funktion eines Marketinginstruments reduziert wird. Dies vor allem dann, wenn es bei der Präsentation der guten Praxis im geförderten Wiener Wohnbau bleibt. Es lohnt daher, den Blick stärker auf die spezifische Genese dieser IBA und auf ihre Anliegen, Zielsetzungen und Projekte, letztlich auf ihre Wesenszüge in der Auseinandersetzung mit der Wohnungsfrage zu richten.

Die Wohnungsfrage ist international.

International gesehen hat sich das Themen-­ und Arbeitsfeld des Wohnbaus, oder besser gesagt, jenes der Sicherstellung bezahlbaren Wohnraumes, zu einer der zentralen Herausforderungen der Stadtentwicklung entwickelt. Wesentlichen Einfluss auf diese Situation hatte die Finanzkrise in den 1990er Jahren, als sich viele Städte dazu entschlossen haben, kommunale Wohnungsbestände an Meistbieter*innen, nicht selten an Finanzinvestor*innen, zu veräußern. So konnten Finanzmittel in die oftmals leeren Kassen gespielt und die Handlungsfähigkeit der überschuldeten Kommunen gesichert werden. Getragen wurde diese Verkaufslogik durch vermeintlich entspannte Wohnungsmärkte. Noch in den 1990er Jahren war die Bewältigung von Schrumpfungsprozessen ein bestimmendes Thema der Stadtentwicklung und des Stadtumbaus. In Ost wie in West.

Nur wenige Jahre später haben sich die Bedingungen radikal verändert. Es sind vor allem die großen Städte und Metropolen, die unter einem starken Wachstumsdruck stehen und in denen der Wohnungsmarkt, und hier vor allem das Segment des bezahl­baren Wohnraums, massiv unter Druck gerät. Nun werden die Konsequenzen des Rückzugs der Kommunen und des Staates aus dem sozialen Wohnbau und aus der aktiven Bodenpolitik spürbar. Vielfach fehlen Möglichkeiten einer aktiven Steuerung der Bauland-­ und der Wohnbauentwicklung. Die Bodenmärkte sind zunehmend aus den Fugen geraten. Mit den rapide steigenden Bodenpreisen steigen auch die Mieten. Dies mit gravierenden Folgen: Die Gruppe jener Menschen, die aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage sind, bezahlbaren Wohnraum zu finden, wird immer größer.

Wiener Herausforderungen.

Der Blick vieler europäischer Städte und Gemeinden richtet sich daher auf Wien. Seit rund 100 Jahren steht Wien für eine erfolgreiche soziale Wohnungspolitik und für hohe Qualitäten im geförderten Wohnbau. Eben auch, weil sich die Stadt nie aus der Verantwortung einer aktiven Wohnungspolitik genommen hat. Im internationalen Vergleich verläuft die Mietkostenbelastung daher sehr gedämpft - was vor allem im starken Wohnungssegment des geförderten Wohnbaus und der Gemeindebauten begründet ist.

Doch auch in Wien gerät das leistbare Wohnen zunehmend unter Druck. Stark steigende Grundstückspreise führen dazu, dass zu wenige Grundstücke zu den Konditionen des geförderten Wohnbaus entwickelt werden können. So ist der Durchschnittspreis pro Quadratmeter Boden in den letzten zehn Jahren um 114 % gestiegen (vgl. APA-OTS 2019). Besonders betroffen ist der geförderte Wohnbau, da hier nach den Wohnbauförderungsbestimmungen kein höherer Bodenpreis als 235 € pro m² Wohnnutzfläche gezahlt werden darf. Auf den ohnehin angespannten Markt stoßen gewerbliche Bauträger und Finanzinvestor*innen, die den Wohnbau als Anlagemodell entwickeln.

Trotz des ausgefeilten wohnbaupolitischen und qualitätssichernden Instrumentariums ist daher zu beobachten, wie der soziale Wohnbau in Wien angesichts stark steigender Grundstückspreise und Baukosten zunehmend unter Druck gerät. Parallel dazu verändern sich die Bedingungen einer städtischen Wohnungspolitik. Die Herausforderungen einer zunehmend vielfältigeren und individua­lisierten Gesellschaft, die Zunahme von Menschen in prekären Einkommenssituationen, der demographische wie der technologische Wandel beeinflussen einander und gewinnen an Relevanz bezogen auf die Bereitstellung und Nachfrage von bezahlbarem Wohnraum. Die Wohnungsfrage wird zu einem bestimmenden Moment einer sozial nachhaltigen Stadtentwicklung.

Gerade in einer stark wachsenden Stadt stellt sich die Frage nach dem Weiterbau von „Stadt“ und damit die Frage nach räumlichen und sozialen Qualitäten neuer städtischer Quartiere. Wie reagieren Stadtentwicklung und Wohnbau auf die Herausforderungen des Klimawandels und der Digitalisierung? Wie lässt sich die Durchmischung von Wohnen und Arbeiten, von kulturellen und sozialen Angeboten in den neuen städtischen Quartieren fördern und stimulieren? Wie wirken sich die digitalen Technologien, das Internet der Dinge, auf die Struktur, die Funktion und auf das Bild der Stadt und auf das städtische Leben aus? Welchen Ausdruck findet dies in der Architektur und im Städtebau bzw. umgekehrt, was können Architektur und Städtebau an Beiträgen und Impulsen zu einem Neuen sozialen Wohnen und zu einer resilienten Stadt-­ und Quartiersentwicklung leisten? Und was bedeutet dies beispielsweise für die Einbeziehung weiterer Partner*innen und für den Aufbau neuer Netzwerke, für die Weiterentwicklung des stadt.­ und wohnungspolitischen Instrumentariums? Was ist das „Neue“ an einem Neuen sozialen Wohnen - so wie es nun die IBA_Wien zu ihrem Leitthema erklärt hat?

Allein schon diese Auflistung an Fragen macht deutlich, dass eine IBA_Wien über die retrospektive Betrachtung und Vermittlung der Leistungen des geförderten Wohnbaus hinauskommen muss. In den Fokus rücken die Herausforderungen in der Sicherung des leistbaren, des „sozialen“ Wohnens und im Aufbau sozialer, inklusiver Quartiere. In den mehr als hundert Vorhaben der IBA_Wien geht es um Themen wie gute Nachbarschaft und gesundes und leistbares Wohnen, um die Stimulierung und Entwicklung einer urbanen Vielfalt in inklusiven Quartieren, um die Erneuerung der Bestände der 1960er und 1970er Jahre, um das klimaangepasste Bauen oder um Impulse zur Gestaltung der Mobilitätswende. Ihre Arbeits-­ und Austragungsorte sind ausgewählte Gebiete der Stadtentwicklung ebenso wie große Bestandsgebiete aus der Nachkriegszeit. Erprobt und demonstriert werden Prozesse und Modelle in der Gestaltung urbaner Sukzessionsprozesse wie in der Erneuerung und Qualifizierung der Bestände. Ihre Protagonist*innen und Akteur*innen kommen aus (gemeinnützigen) Wohnbauunternehmen, aus Architektur, Städtebau und Freiraumplanung, aus der Verwaltung wie aus Wissenschaft und Forschung und aus der Zivilgesellschaft.

Hätte es dazu des Instruments einer Internationalen Bauausstellung bedurft?

Vordergründig nein, weil es sich bei fast allen Projekten um Vorhaben im geförderten Wohnbau handelt, die auch ohne eine IBA so oder in ähnlicher Form umgesetzt würden. Selbst für eine der wegweisendsten jüngeren Entscheidungen in Wien, die Einführung der Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“, war die IBA nicht ausschlaggebend.

Ja, weil die IBA nicht nur auf den Projekten im System des geförderten Wohnbaus aufsattelt, sondern weil es Teil ihrer Programmatik ist, die vorhandenen Instrumente und Prozesse weiterzuentwickeln und an die neuen Herausforderungen anzupassen. Hierzu begleitet die IBA die projektbezogenen Qualifizierungsprozesse. Sie bringt die unterschiedlichen beteiligten Akteur*innengruppen zusammen und unterstützt so ein übergreifendes Handeln. Sei es im Rahmen der IBA-­Talks oder im Kontext von projektbezogenen Werkstattgesprächen. So gelingt es der IBA_Wien, fortlaufend neue Partner*innen in die komplexen Prozesse der Wohnbau­ und Stadtproduktion einzubeziehen bzw. diese im Sinne eines gemeinsamen, ressort­- und institutionell übergreifenden Handelns besser zu vernetzen. Im Forschungsbereich hat die IBA_Wien einen wesentlichen Impuls zum Aufbau eines von der TU Wien und der Uni Wien getragenen Forschungsclusters geleistet. Bei dem ResearchLab New Social Housing geht es vor allem um die Förderung der interdisziplinären, kritischen und der vergleichenden Forschung in dem Gebiet des sozialen Wohnbaus und der Stadtentwicklung. Herauszuheben ist auch der Aufbau eines internationalen Städtenetzwerkes zum Thema des Neuen sozialen Wohnens.

All dies mag vielleicht wenig „spektakulär“ anmuten und ist vielleicht auch nur wenig „experimentell“. Immer noch sind es die Vollwärmeschutzfassaden und bewährte, aber mehr oder weniger auch konventionelle Wohnarchitekturen, die auch im Rahmen der IBA_Wien realisiert werden. Hierbei muss man wissen, dass die IBA_Wien über kein eigenes Projektbudget verfügt und auch keinen eigenen Verantwortungsbereich besitzt, um die Dinge von Grund auf neu angehen zu können. Sie ist eingebunden in das Wiener Wohnbausystem und darauf angewiesen, dass gute und umsetzungsfähige Projekte an die IBA herangetragen werden, die über einen mehrstufigen Prozess bezogen auf die Ziele der IBA weiterentwickelt und qualifiziert werden. Ihr Innovationsanspruch ist daher stark inkrementell geprägt. Veränderungen finden im Detail statt und sind auf den ersten Blick nicht immer zu erkennen.

Eingebunden in das hoch professionalisierte und ausgereifte System der Wiener Wohnbauförderung nimmt die IBA eine wichtige Rolle ein. Sie setzt Impulse, vernetzt Akteur*innen, unterstützt und begleitet Prozesse und nimmt damit Einfluss auf die Weiterentwicklung des vorhandenen Instrumenta­riums. Behutsam, aber wirkungsvoll. Damit wirkt die IBA_Wien stark nach innen. In diesem Verständnis versteht sich die IBA_Wien als Plattform, Moderatorin und Impulsgeberin zu einem länger andauernden Veränderungsmanagement im geförderten Wohnbau. Ihre Projekte sind Arbeits-­ und Lernfelder in der Auseinandersetzung mit den vielfältigen Ansprüchen an ein Neues soziales Wohnen, an die Entwicklung neuer vielfältiger Stadtteile und Quartiere, an den Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen und an die fortlaufende Weiterentwicklung des Stellenwertes einer staatlichen und kommunalen Verantwortung und einer aktiven Wohnbauförderung für den sozialen Wohnungsbau.

Adressat*innen der IBA_Wien.

Adressat*innen der IBA_Wien sind sowohl Architekt*innen und Stadtplaner*innen als auch Verantwortliche in Politik und Verwaltung. Sie sind es, die in den Städten oder auf staatlicher und auf EU-­Ebene notwendige Weichenstellungen in der Verantwortung um das „soziale Wohnen“, um ein „Recht auf Wohnen“ vornehmen müssen. Über die ausgewählten Projekte zeigt die IBA_Wien auf, was mit dieser Verantwortung einhergeht: von der vorausschauenden Bodenpolitik und der wirkungsvollen Wohnbauförderung über den Städtebau und die Architektur bis hin zum Umgang mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Und sie macht deutlich, dass es sich hier um Herausforderungen handelt, die, basierend auf einer klaren gesellschaftspolitischen Haltung, der steten Anpassung und Weiterentwicklung der Instrumente, der Prozesse und der Akteur*innenlandschaften bedarf. Die IBA_Wien agiert damit proaktiv.

Die IBA_Wien richtet sich zudem an die Stadtöffentlichkeit. Sie drängt darauf, interessierte und engagierte Menschen in die Qualifizierungsprozesse zur Entwicklung neuer Quartiere einzubeziehen, ihnen Raum zur Mitgestaltung und Mitverantwortung zu geben. In Vor­-Ort-­Gesprächen und Ausstellungen vermittelt sie Ansprüche, diskutiert Erwartungen und Ziele und schürt darüber das Verständnis für die komplexen Prozesse der Stadt­- und Quartiersentwicklung und des Wohnbaus. Sie trägt darüber dazu bei, Vertrauen in künftige Entwicklungen zu schaffen, was angesichts großer und vielfach parteipolitisch geschürter Unsicherheiten von hohem Wert ist.

Das Jahr 2020 ist das Jahr der Zwischenpräsentation. Einige der Projekte sind bis dahin realisiert - zumindest was die bauliche Entwicklung betrifft -, die meisten befinden sich in der Umsetzung. Die mit den Projekten verbundenen Wirkungen reichen jedoch weit über eine Schlüsselübergabe hinaus. Es muss sich beweisen, dass die Anforderungen eines Neuen sozialen Wohnens hineinwirken in das städtische Leben, in den Alltag von Stadt. Damit reichen die Einflüsse und Wirkungen der IBA_Wien über das Gebaute und über Präsentationsjahre hinaus. Hieran werden die Beiträge und der Erfolg einer IBA_Wien zum Neuen sozialen Wohnen zu messen sein! Die Herausforderungen sind groß.

Literatur

APA-OTS (2019): AK: Leistbares Wohnen darf nicht dem Markt überlassen werden. www.ots.at/presseaussendung/OTS_20191022_OTS0057/ak- leistbares-wohnen-darf-nicht- dem-markt-ueberlassen-werden (Abgerufen: Dezember 2019)