Soziale Wohnungspolitik in Wien

von Daniel Glaser

Wien gilt gemeinhin als Hauptstadt des sozialen Wohnbaus, da rund 60 % der Wienerinnen und Wiener in Wohnungen wohnen, die mit Wohnbauförderung errichtet oder saniert wurden. Nicht alle diese Wohnungen können dem sozialen Wohnbau zugerechnet werden, da die soziale Bindung bereits abgelaufen ist, oder wie im Fall von thermischen Sanierungen nie bestanden hat. Der Anteil des sozialen Wohnbaus - also der dauerhaft sozial gebundenen Wohnungen - beträgt daher „nur“ rund 40 % des Gesamtwohnungsbestandes bzw. rund 45 % des Hauptwohnsitzwohnungsbestandes - und setzt sich aus rund 220.000 Gemeindewohnungen und rund 185.000 Wohnungen im Eigentum von gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen zusammen.

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Der kommunale und gemeinnützige Wohnbau stellt sicher, dass Wohnungen die mit Wohnbauförderung errichtet werden, zum Großteil auch dauerhaft sozial gebunden bleiben. Das hat zur Folge, dass der Anteil des sozialen Wohnbaus in Wien kontinuierlich wächst, da geförderte Wohnungen nicht nach 20 oder 30 Jahren aus der sozialen Bindung fallen. So konnte Wien in den vergangenen 50 Jahren die Zahl der dauerhaft sozial gebundenen Wohnungen von rund 210.000 im Jahr 1970 auf rund 400.000 heute fast verdoppeln und hat damit nachhaltig Strukturen geschaffen, die in der Lage sind, breite Bevölkerungsschichten mit leistbaren Wohnraum zu versorgen.

Diese langfristige Betrachtung zeigt sehr gut den Fokus des Wiener Modells des sozialen Wohnbaus. Es geht primär um die Förderung eines Wohnungsmarktsegmentes, das außerhalb der Marktlogik funktioniert und wo die Höhe der Mieten nicht von den Renditeerwartungen der Investoren abhängig ist. Um eine derartige Wohnungspolitik umsetzen zu können, sind folgende zwei Aspekte wesentlich: Erstens braucht es dafür Investor*innen, die freiwillig auf Rendite verzichten, also beispielsweise kommunale oder gemeinnützige Bauträger, und zweitens braucht es dafür Grundstücke, die nach qualitätsgeleiteten Vergabeverfahren, also beispielsweise Konzeptvergaben zu leistbaren Konditionen für die Errichtung von geförderten Wohnungen zur Verfügung gestellt werden.  

Keine Rendite mit der Miete.

Investor*innen, die freiwillig auf Rendite verzichten, also kommunale und gemeinnützig Bauträger, sind für die Effizienz des Wiener Modells des sozialen Wohnbaus essenziell. Sie gewährleisten, dass Wohnbaufördermittel tatsächlich zum Ausbau des sozialen Wohnungsbestands und zur Reduktion der Mieten eingesetzt werden und nicht zur Kompensation entgangener Rendite gewinnorientierter Investor*innen.

Die im sozialen Wohnungsneubau gesetzlich gedeckelte Nettomiete in Höhe von gegenwärtig 4,97 €/m² (jährliche Indexierung) ermöglicht gemeinnützigen Bauträgern die Rückzahlung aller eingesetzten Fremd- und Eigenmittel über einen Zeitraum von maximal 40 Jahren. Das entspricht bei gegenwärtigen Gesamtbaukosten (ohne Grundstückskosten) in der Höhe von 2.100 €/m² einer Mietrendite von rund 2,75 %. Setzt man hingegen bei gleichen Gesamtbaukosten eine für gewinnorientierte Bauträger bereits sehr niedrige Rendite von 5 % an, so führt das zu einer monatlichen Nettomiete von € 9,0 pro m².

Renditeformel für Immobilieninvestionen:

monatliche Nettomiete = Investitionskosten*(Zinssatz/100)/12 
oder 
Mietrendite=(12*monatliche Nettomiete/Investitionskosten)*100

Zwar sind in dieser Berechnung noch keine Grundstückskosten berücksichtig, doch bereits die auf die eingesetzten Baukosten kalkulierte Rendite zeigt, dass unter gegenwärtigen Rahmenbedingungen die Miete von freifinanzierten Wohnungen nicht wirklich leistbar sein können. Solange nämlich der freifinanzierte Wohnbau als Finanzprodukt funktioniert, und er damit auch in Konkurrenz zu anderen Anlageprodukten steht, wird dieser nicht in der Lage sein, wirklich leistbare Mieten anzubieten. Unabhängig davon wie günstig Grundstücke seitens der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden oder die Baukosten durch Deregulierung gesenkt werden können.

Der gemeinnützige bzw. der kommunale Wohnbau ist als Teil der Daseinsvorsorge per se kein Anlageprodukt, ist aber sehr wohl in der Lage mittels Erträgen aus leistbaren Mieten die Investitionen zu refinanzieren.  Dadurch wird sichergestellt, dass breite Bevölkerungsschichten Zugang zu angemessenem Wohnraum haben, ohne dass sie mit ihren Mieten die Rendite von Finanzprodukten erwirtschaften. 

Gemeinnütziger Wohnbau, zwischen Staat und Markt.

Im Wiener Modell des sozialen Wohnbaus werden folglich mittels Wohnbauförderungen in Form von langfristigen und niedrig verzinsten Darlehen (1 % Verzinsung, 40 Jahre Laufzeit) und gesetzlich beschränkter Renditen leistbare Mieten erzielt. Das bedeutet aber nicht, dass gemeinnützige Bauträger Verluste schreiben und Subventionen für die Aufrechterhaltung ihrer Geschäftstätigkeit benötigen. Vielmehr sind diese in der Lage auch mittels der gesetzlich beschränkten Rendite von maximal 3,5 % Erträge zu erwirtschaften und Kapital aufzubauen. Da dieses sogenannte überschüssige Eigenkapital für Sanierungen, Grundstücksankäufe und die Umsetzung von neuen Projekten zweckgebunden ist, wird sichergestellt, dass die gemeinnützige Wohnungswirtschaft den Wohnungsmarkt nachhaltig mitgestalten kann und der Stadt Wien dauerhaft als Umsetzungspartnerin ihrer Wohnungspolitik zur Verfügung steht.

Genau diese Form der Kooperation - zwischen der öffentlichen Hand und privaten aber gemeinnützigen Unternehmungen, also dem sogenannten „dritten Sektor“ - ermöglicht erst das Wiener Modell des sozialen Wohnbaus und macht es in weiterer Folge auch effizient. Die eingesetzten Fördermittel dienen nämlich nicht der temporären Kompensation von entgangener Rendite gewinnorientierter Unternehmen, sondern führen direkt zu leistbaren Mieten, da vor allem nicht gewinnorientierte Unternehmen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft geförderte werden. Mittels Wohnbauförderung werden so Strukturen geschaffen die langfristig wirken, indem sie den Wohnungsmarkt ein Stück weit dekommodifizieren, also ein Wohnungsmarktsegment ausbauen, das in Bezug auf die Mietpreisbildung von den Regeln des Marktes unabhängig ist.

Wohnbau für die Vielen.

Die kontinuierliche Weiterentwicklung des sozialen Wohnbaus und die Jahrzehnte lange Kooperation zwischen gemeinnützigen Bauträgern und der Stadt Wien hat auch dazu geführt, dass gewinnorientierte Wohnbauträger im Wiener nicht dieselbe Bedeutung wie in vergleichbaren europäischen Großstädten haben. Zum einen liegt das natürlich am großen Anteil des sozialen Wohnungsbaus am Gesamtwohnungsbestande und zum anderen auch an der vergleichsweise hohen Qualität des sozialen Wohnbaus in Wien. Der soziale Wohnbau in Wien ist nämlich kein „Billig-Wohnbau“ für ausschließlich einkommensschwache Haushalte, sondern die Einkommensgrenzen sind so gewählt, dass rund 80 % aller Wiener Haushalte potentiell Zugang zum sozialen Wohnbau haben.

Die Versorgung breiter Bevölkerungsschichten mit leistbaren und qualitätsvollen Wohnungen wird in Wien noch immer als wesentlicher Aspekt der Daseinsvorsorge begriffen und wird daher nicht alleine dem freien Markt überlassen. Die Bedeutung dieser politischen Zielsetzung zeigt sich insbesondere im Vergleich mit anderen europäischen Großstädten, wo Mieten selbst für die etablierte Mittelschicht nicht mehr leistbar sind. Um nämlich die Renditeerwartungen der Investor*innen zu erfüllen, müssen die erwirtschafteten Nettomieten im freifinanzierten Wohnbau zumindest doppelt so hoch sein wie im gemeinnützigen Wohnbau.

Für Mieterinnen und Mieter bedeutet das, dass im besten Fall 800 € statt 400 € Nettomiete für eine durchschnittliche 80-Quadratmeter-Wohnung fällig werden, was auch für die etablierte Mittelschicht eine beachtliche Mehrbelastung darstellt. Bedenkt man, dass diese Mehrkosten nicht durch eine bessere Ausstattung und höhere Baukosten begründet sind, sondern ausschließlich dazu dienen die Rendite der Investor*innen zu finanzieren, dann wird klar, dass der freifinanzierte Wohnbau die größte Vermögens-Umverteilungsmaschine von unten nach oben ist. Einer derartigen Umverteilung entgegenzuwirken, ist erklärtes Ziel des sozialen Wohnbaus in Wien, da nämlich sonst insbesondere Mieterinnen und Mieter der Mittelschicht gezwungenermaßen mit einem nicht unwesentlichen Teil ihrer Miete die Rendite von Investor*innen finanzieren.

Wirtschaft ist mehr als Immobilienwirtschaft.

Oftmals wird an dieser Stelle eingewandt, dass wenn der soziale Wohnbau nicht nur ein kleines Marktsegment umfasst und die einkommensschwächsten Bevölkerungsschichten adressiert, sondern sich an breite Bevölkerungsschichten richtet, dadurch wirtschaftliche Entwicklung hintangehalten wird. Bezogen auf die Immobilienwirtschaft ist das natürlich zutreffend, da der Wohnungswirtschaft durch die geringeren Mieten im sozialen Wohnbau Umsatz entgeht. Insbesondere die etablierte Mittelschicht könnte sich nämlich - so meist die Argumente der Immobilienwirtschaft - durchaus höhere Mieten leisten und damit - und das wird von der Immobilienwirtschaft in diesem Zusammenhang nicht erwähnt - die Rendite von Immobilieninvestor*innen finanzieren.   

Ökonominnen und Ökonomen, die nicht nur die Immobilienwirtschaft im Auge haben, sondern die Interessen lokaler und oft kleinstrukturierter Unternehmen, sehen in günstigen Mieten durchaus ökonomische Chancen. Das frei verfügbare Einkommen von Haushalten im gemeinnützigen oder kommunalen Wohnbau erhöht sich im Ausmaß der Differenz zwischen zur Marktmiete und leistbarer Miete im sozialen Wohnbau und es wird üblicher Weise für andere Güter und Dienstleistungen ausgegeben. Das Geld bleibt damit im Umlauf anstatt als Finanzvermögen gebunden zu werden.

Vor diesem Hintergrund muss auch die Kritik seitens der Immobilienwirtschaft an der sozialen Treffsicherheit des sozialen Wohnbaus gesehen werden. In deren Idealvorstellung soll der soziale Wohnbau nur den einkommensschwächsten Bevölkerungsgruppen zur Verfügung stehen, da mit dieser Gruppe ohnehin kein Geld verdient werden kann. Die Mittelschicht hingegen ist für die private Wohnungswirtschaft alleine aufgrund ihrer Größe und ihrer verhältnismäßig guten finanziellen Ausstattung als Kunde hoch attraktiv. Sie kann sich nämlich im Unterschied zu den einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen die Mieten am freien Wohnungsmarkt noch leisten, wenn sie bereit ist rund die Hälfte des verfügbaren Haushaltseinkommens fürs Wohnen auszugeben.

Die Strategie der Immobilienwirtschaft - unter dem Vorwand der sozialen Treffsicherheit - den sozialen Wohnbau für die Mittelschicht unattraktiv zu machen, führt sich dann ad absurdum wenn zeitgleich großzügige Zuschüsse zum Wohnungskauf gefordert werden, um genau dieser Mittelschicht den Vermögensaufbau zu erleichtern. In der gegenwärtigen Situation würde davon am meisten die Immobilienwirtschaft profitieren, die ihre Preiserwartungen entsprechend nach oben anpassen könnte.

Soziale Treffsicherheit vs. soziale Durchmischung.

Dennoch, soziale Treffsicherheit ist ein relevantes Thema und es gibt im Wiener Modell des sozialen Wohnbaus zusätzlich zu den Einkommensgrenzen weitere Kriterien die den Zugang zum sozialen Wohnbau regeln. Diese gewährleisten, dass im sozialen Wohnbau Wiens unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen - von vulnerablen Gruppen bis hin zur etablierten Mittelschicht - zusammenleben. Der Zielkonflikt zwischen sozialer Treffsicherheit und sozialer Durchmischung - der latent immer vorhanden ist - wird aber nicht durch Ausschluss der Mittelschicht, sondern durch Kontingente für einkommensschwache, vulnerable Gruppen und Menschen in Notlagen gelöst. 

Seit 2019 müssen beispielsweise 50 % der Wohnungen in Neubauprojekten als sogenannte SMART-Wohnungen errichtet werden. Für diese ist vor Einzug ein einmaliger Finanzierungsbeitrag in der Höhe von lediglich 60 €/m² fällig und die monatliche Miete beträgt 7,5 €/m². Für die Hälfte dieser Wohnungen, für die die Stadt Wien auf Förderdauer Belagsrechte hält, ist zusätzlich ein dringender Wohnbedarf Voraussetzung. Dieser ist beispielsweise dann gegeben, wenn die derzeitige Wohnung überbelegt ist, oder Kinder unter 30 Jahren aus der elterlichen Wohnung ausziehen möchten. Weiter werden bei fast allen größeren Neubauprojekten von den gemeinnützigen Bauträgern in Kooperation mit sozialen Trägern gezielt Wohnungen, gemeinschaftliche Wohnformen und/oder betreute Wohnformen umgesetzt, die für die speziellen Zielgruppen dieser sozialen Träger reserviert sind. Und auch Wiener Wohnen, das die rund 220.000 kommunalen Wohnungen verwaltet, vergibt rund 1.000 Wohnungen pro Jahr (das entspricht rund 10 % aller Neuvermietungen) an Menschen in Notlagen oder schwierigen Lebenslagen.

Dennoch, die Vergabepraxis im sozialen Wohnbau ist häufig Gegenstand von Kritik. Die einen stoßen sich daran, dass Menschen, die bereits länger in Wien wohnen durch den sogenannten Wien-Bonus bevorzugt werden, andere wiederum meinen, dass Haushalte der etablierten Mittelschicht leistbaren Wohnraum belegen und wirklich einkommensschwache Haushalte dadurch benachteiligt werden. Punktuell sind hier durchaus, wie bereits in Vergangenheit, Anpassungen möglich, wenn dabei bestimmte Grundsätze - die konstitutiv sind für das System des sozialen Wohnbaus berücksichtigt werden. Die Herausforderung dabei ist es Allokationsmechanismen zu etablieren, die nicht nur die individuellen Perspektive, sondern das solidarische System des sozialen Wohnbaus und seine Zielsetzungen als Gesamtes im Auge haben. Die Versorgung breiter Bevölkerungsschichten mit leistbaren, angemessenen und sicheren Wohnverhältnissen sollte daher im Vordergrund stehen.

Ziele und nicht Ziele des sozialen Wohnbaus.

Sichere Wohnverhältnisse bedeuten in erster Line stabile und kalkulierbare Wohnverhältnisse, also unbefristete Mietverträge, stabile Mieten und unter bestimmten Bedingungen auch Eintrittsrechte für Kinder und nahe Verwandte. Mieterinnen und Mieter im sozialen Wohnbau sollen so weit wie möglich im Vergleich zu Wohnungseigentümerinnen und Wohnungseigentümer nicht benachteiligt sein. Die oft diskutierten Mietzuschläge für Besserverdienende - in Höhe der Differenz zwischen sozial gedeckelter Miete (Kostenmiete) und Markmiete - würden hier eine klare Benachteiligung darstellen. Während Eigentümerinnen und Eigentümern, auch wenn sie im geförderten Eigentum wohnen nichts zu „befürchten“ haben, „droht“ man Mieterinnen und Mietern mit Mieterhöhungen im Sinne der Gerechtigkeit. Für einen angemessenen Beitrag Besserverdienender ist aber nicht der soziale Wohnbau, sondern die Einkommens- und Lohnsteuer das treffsicherere Instrument. Denn ob man das Glück hat, Eigentum erwerben zu können oder nicht, ist zumindest gegenwärtig im städtischen Raum weniger eine Frage des Erwerbseinkommens, als eine Frage von Erbschaften oder Schenkungen. 

Auch in Bezug auf die Lage des sozialen Wohnbaus in der Stadt wird oft die Frage gestellt, ob es tatsächlich notwendig ist, in „Nobelviertel“ und der Innenstadt kommunalen Wohnbau anzubieten. Aber warum eigentlich nicht? Die Mietpreisbildung im sozialen Wohnbau in Wien funktioniert nach dem Kostenmietenprinzip und folglich ist bei gleichen Gesamtbaukosten die Miete in allen sozial gebundenen Wohnungen in ganz Wien gleich. Egal, ob die Wohnung im 1. Bezirk oder im 23. Bezirk liegt. Wenn also Grundstücke in guten Lagen bereits im Eigentum der Stadt Wien sind und nicht teuer angekauft werden müssen, kann auch in zentralen Lagen, wie beispielsweise gegenwärtig am Gelände des ehemaligen Sophienspitals im 7. Bezirk, leistbarer Wohnbau errichtet werden. Auch wenn der Kommune dadurch kurzfristig Einnahmen entgehen, so ist nur so die Zielsetzung, das dekommodifizierte Wohnungsmarktsegment auf- bzw. auszubauen, zu erreichen.   

Die exemplarisch angeführten Ziele und Nicht-Ziele zeigen, was das solidarische System des sozialen Wohnbaus leisten kann und was es nicht leisten soll. Nicht alle Aspekte sozialer Gerechtigkeit können mittels des Wohnbaus gelöst werden. Ein präziser Einsatz von unterschiedlichen sozialpolitischen Instrumenten ist hier wesentlich um nicht ein einzelnes Instrument zu überfordern. 

Solidarisches System sozialer Wohnbau.

Das System des sozialen Wohnbaus in Wien hat sich in den vergangenen 100 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt und die IBA_Wien „Neues soziales Wohnen" knüpft an diese Tradition der Weiterentwicklung an. Die drei Leitthemen „neue soziale Quartiere“, „neue soziale Qualitäten“ und „neue soziale Verantwortung“ geben dabei die Entwicklungsstränge vor, wobei für den vorliegenden Text insbesondere der dritte Aspekt, die „neue soziale Verantwortung“ wesentlich ist.

Betrachtet man nämlich den sozialen Wohnbau als solidarisches System so zeigt sich, dass er nach ähnlichen Prinzipien organisiert ist ,wie andere für den europäischen Sozialstaat typische solidarische Systeme auch. Verantwortung für angemessene Wohnverhältnisse werden nicht auf den Einzelnen bzw. die Einzelne überwälzt, sondern sind im Interesse der Allgemeinheit. Daher existieren im sozialen Wohnbau Elemente wie Pflichtbeiträge, Kapitalbindung, öffentliche Steuerung und privatwirtschaftliche und gemeinnützige Umsetzung, die es in ähnlicher Form auch im solidarischen Gesundheitssystem gibt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Wiener Modell des sozialen Wohnbaus aus volkswirtschaftlicher Sicht als effizient und als krisenresident gilt. Als Beleg dafür können die im Vergleich zu anderen Städten geringen Ausgaben für Wohnbeihilfe (Subjektförderung) genannt werde und auch während der Finanz- und Wirtschaftskriese im Jahr 2008 sorgte die gemeinnützige Wohnungswirtschaft für eine Grundauslastung der Bauwirtschaft. Im Unterschied zu vielen anderen europäischen Ländern kam es in Österreich zu keinem nennenswerten Einbruch der Bauleistung.

Wenn gegenwärtig die für den europäischen Sozialstaat konstituierenden solidarischen Systeme unter Druck geraten, so betrifft das natürlich auch den sozialen Wohnbau. Die Kommodifizierung des gegenwärtig dekommodifizierten gemeinnützigen und kommunalen Wohnbaus birgt aus Sicht der Immobilienwirtschaft ein immenses Potential für Privatisierung, Aufhebung von Preis- und Renditeregulierung und Abschöpfung von Gewinnen. Gleichzeitig formieren sich in zahlreichen europäischen Großstädten zivilgesellschaftliche Initiativen die eine Re-Dekommodifizierung von ehemals öffentlichen Wohnungsbeständen bzw. die Dekommodifizierung von privaten Wohnungsbeständen fordern.

Angesichts dieser Rahmenbedingungen müsste es der IBA_Wien gelingen, das Modell des sozialen Wohnbaus in Wien mit Unterstützung der Zivilgesellschaft und der Politik als realistische Alternative zu positionieren. Als Alternative insbesondere zum gegenwärtigen Konzept eines Wohnbaues - der in erster Linie Finanzprodukt ist, der für viele Politikerinnen und Politiker noch immer alternativlos ist und der im Grunde die größte Umverteilungsmaschine von unten nach oben ist. Zugegeben, das Ziel ist hoch gesteckt, doch auch andere IBAs haben auch städtebauliche Paradigmenwechsel unterstützt und vorangetrieben.

Die Chancen, dass es auch bei der Wohnungsfrage in den kommenden Jahren zu einem Paradigmenwechsel kommt, sind so hoch wie schon lange nicht mehr und vielleicht kann genau hier die IBA_Wien ansetzen und notwendige Impuls geben. Noch ist bis 2022 Zeit, um die dafür die notwendigen Kommunikationsstrategien und -formate zu entwickeln und Netzwerke mit wesentlichen Institutionen und Akteur*innen aufzubauen.

 

Literatur

STATcube - Statistische Datenbank von Statistik Austria (abgerufen: November 2019)